Dies ist wegen des komplexen Themas ein unveränderter Auszug aus dem u.g. Artikel:
Verringerung von Stickoxiden führt zu Erhöhung von Feinstaubausstoß
So glaubt Professor Matthias Klingner, der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden, dass die Politik auf dem Holzweg ist, wenn sie sich von der Deutschen Umwelthilfe weiter vor sich hertreiben lässt: „Die jetzt geforderten und extrem aufwendigen Nachrüstungen der Dieselfahrzeuge zur Stickoxid-Reduktion werden das Problem nicht grundlegend lösen“, warnt Klingner. Er schlägt einen anderen, erstaunlich einfachen Ansatz vor: Um den Grenzwert für Stickoxide einzuhalten, müsse der Grenzwert für einen anderen Schadstoff einfach gelockert werden.
Was zunächst widersprüchlich klingt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als plausibel. Bei dem Schadstoff, dessen Grenzwert Klingner lockern möchte, handelt es sich um Feinstaub. Diese mikroskopisch kleinen Rußpartikel standen bislang im Mittelpunkt der Anstrengungen zur Luftreinhaltung. Die Autohersteller haben die Motoren ihrer Neuwagen über Jahre auf eine hohe Betriebstemperatur optimiert, sodass sie möglichst wenig Feinstaub ausstoßen.
Nur: Ein auf Feinstaub-Vermeidung optimierter Motor produziert in der Brennkammer automatisch mehr Stickoxide, das lässt sich physikalisch gar nicht vermeiden. Die politische Vorgabe, Feinstaub und Stickoxide gleichzeitig zu reduzieren, ist somit technisch nicht leistbar. Es gilt die sogenannte Ruß-NOx-Schere, wobei NOx für die Stickoxide steht. Wird der Motor so eingestellt, dass der Kraftstoff bei hohen Temperaturen verbrennt, bleiben zwar weniger Rußpartikel übrig, es wird zugleich aber mehr von dem in der Luft enthaltenen Stickstoff zu Stickoxid umgewandelt. Klingner sagt: „Die strengen Grenzwerte für Feinstaub sind letztlich die Ursache für die punktuell hohen Stickoxid-Werte in vielen Städten.“
Klingners Institut hat zudem festgestellt: „Die Spitzen bei der Feinstaub-Belastung in Städten werden vor allem durch das Wetter erzeugt. Dieselfahrzeuge hingegen haben nur einen marginalen, kaum messbaren Einfluss auf die Feinstaubkonzentration.“ Dramatische Folge dieser Analyse: Die offensichtlich unsinnigen Feinstaub-Grenzwerte für Kraftfahrzeuge könnten aufgegeben werden, ohne dass es zu einer messbaren Umweltbelastung käme. Das Stickoxid-Problem des Diesels löst sich damit von selbst, sagt Klinger: Denn „dann können die Motoren so eingestellt werden, dass der Treibstoff bei geringeren Temperaturen verbrennt und damit weniger Stickoxide als Abgase entstehen.“
Fahrverbote für Dieselfahrzeuge sind also aus wissenschaftlich-technischer Sicht unnötig. Die elegante und preiswerte Methode, das Stickoxid-Problem aus der Welt zu schaffen, hat höchstens ein politisches Problem: Regierungsverantwortliche waren immer gut darin, Umweltgrenzwerte einzuführen, die Abschaffung von offensichtlich unsinnigen Grenzwerten ist ihnen hingegen noch nie gelungen. Klingner findet, die Politik sollte es dennoch versuchen. Die Bundesregierung sollte in einer unabhängigen Untersuchung den Zusammenhang zwischen natürlichem und verkehrsbedingtem Feinstaub sowie der Stickoxid-Konzentration noch einmal überprüfen, sagt der Dresdner Institutsleiter. Danach sollte sich Berlin auf Basis verlässlicher Aussagen in Brüssel für eine Lockerung der Feinstaub-Grenzwerte einsetzen.
Entstanden ist das Diesel-Debakel vielleicht überhaupt nur durch ein unglückliches Timing. Klingners Untersuchung erschien zwar bereits vor zehn Jahren. Nur zwei Wochen vorher allerdings hatte das Kabinett bereits einen Beschluss zur Plakettenregelung für Umweltzonen gefasst. „Ein Mitglied der damaligen Bundesregierung sagte mir, es hätte diesen Kabinettsbeschluss wahrscheinlich nicht gegeben, wenn die Ergebnisse der Studie schon vorgelegen hätten“, sagt Klingner.
Nebenbei plädiert Klingner dafür, mögliche Gesundheitsrisiken durch Luftschadstoffe in Studien zu untersuchen. Das gilt insbesondere für Alarmmeldungen der Deutschen Umwelthilfe, einer Lobbyorganisation, die selbst aus der Sicht von Bundesumweltministerin Hendricks „zum Skandalisieren neigt“. So glaubt offenbar auch Fraunhofer-Forscher Klingner, dass die Gesundheitsgefahren von Stickoxid und Feinstaub aufgebauscht sein könnten: „Die bisherigen Warnungen, in Deutschland würden jedes Jahr 80.000 Menschen an den Folgen der Feinstaub-Belastung sterben, basieren auf fragwürdigen Hochrechnungen, die sich auf Daten aus den USA stützen“, sagt der Experte: „Das gilt auch für angeblich 64.000 Opfer von Stickoxiden im Jahr.“
Ohnehin muss sich die Deutsche Umwelthilfe fragen lassen, ob sie nicht zu dem Dilemma der Motorenbauer beigetragen hat: Sie selbst hatte stets gefordert, die Umweltzonen möglichst „scharf“ zu stellen – also nur noch feinstauboptimierte Fahrzeuge in die Innenstädte zu lassen. Trotz der Einführung von Umweltzonen und dem Einbau von Rußfiltern erhöhten sich danach die Stickoxid-Werte in einigen städtischen Straßenzügen. Selbst Deutschlands Öko-Hauptstadt Freiburg verzweifelte an der physikalisch unlösbaren Aufgabe, Stickoxide zu verringern, ohne zugleich die Feinstaubwerte zu erhöhen.
Der ADAC hielt die Einführung von Umweltzonen schon im Jahre 2010 für einen „Fehlschlag“ und „Augenwischerei“. Ein Vergleich der Luftqualität in Städten mit und ohne Umweltzone hätte keine relevanten Unterschiede bei der Feinstaub-Belastung ergeben, sogar das Umweltbundesamt äußerte Zweifel an der Wirksamkeit. Doch physikalische Gesetzmäßigkeiten hielten die Deutsche Umwelthilfe schon damals nicht davon ab, eine „Blaue Plakette“ für Umweltzonen zu fordern. Die sollte für das Unmögliche stehen: einen niedrigen Ausstoß von Feinstaub und Stickoxiden zugleich.
Stand: 26.08.17, Die Welt, http://hd.welt.de/Wirtschaft-edition/article168021309/Der-Feinstaub-Fehlalarm.html